Podcast Skript
Mir ist wichtig, dass, wenn ihr diesen Podcast hört, nicht Hals über Kopf alles über den Haufen werft, was ihr bisher esst. Nehmt das neue Wissen über Kohlenhydrate auf. Beobachtet euren Alltag und passt eure Ernährung ggf langsam an.
Eure Ernährung ist eine Diät, die ihr ein Leben lang macht. Man könnte auch sagen sie ist euer persönlicher Lifestyle. Klingt abgedroschen ich weiß. Aber es bringt nichts wenn ihr die Ernährung von jemand anderem esst und dabei unglücklich seid und die schönen Seiten des Essens verpasst.
Und das werden wir in dieser Folge auch wieder sehen: in den ganzen Studien gibt es so viel Variabilität: der eine nimmt 20 kg ab die andere 5 kg zu. Bei gleicher Ernährung. Das heißt Ernährung ist häufig individuell. Und Wir kennen nur eine Richtung die für alle gilt. Also geht es ruhig und mit Bedacht an.
Kohlenhydrate als Superschurke
In der letzten Folge haben wir festgestellt, dass Fett gesund ist, obwohl es jahrzehntelang als gesundheitsschädlich galt. Im 21. Jahrhundert aber gibt es einen anderen Superschurken der Ernährung: Kohlenhydrate. Sie lösen Diabetes aus, machen Hunger, lösen Entzündungen im Körper aus und überhaupt Abends sollte man sie schon gar nicht essen.
In der Paleo-, der Keto- und der Carnivor-Folge habe ich schon argumentiert, dass es nicht schlau ist alle Kohlenhydrate weg zu lassen, weil man damit viele wichtige Nährstofflieferanten aus seiner Diät ausschließt. Das führt meist dazu, dass man eine solche Ernährung nicht lange durchhält, geschweige denn ein sein ganzes Leben.
Aber die wohl meist gestellte Frage an mich, klingt ungefähr so: Ist Getreide A besser als Getreide B und soll ich die Carbs überhaupt essen? Low-Carb ist gut zum Abnehmen oder?
Es herrscht, so mein Eindruck, große Verunsicherung was Kohlenhydrate angeht. Also klären wir das Thema für uns nach dem heutigen Stand der Wissenschaft.
Übringens schneidet fast jede Diät gut ab, wenn man sie mit unserer durchschnittlich westlichen Diät vergleicht.
„Wer groß denkt, braucht auf die Details keine Rücksicht nehmen.“
Ein Zitat von einem schlauen Menschen über große politische Reden.
Selbiges trifft auch zu, wenn man sagt Kohlenhydrate seien ungesund. Denn das stimmt nicht. Die Details sind wieder mal entscheidend.
Kohlenhydrate sind in fast allen Lebensmittel zu finden. Man kommt also nur mit einiger Anstrengung und viel Verzicht um sie herum. Kein Wunder, dass es schwer ist Low-Carb oder gar Keto zu essen.
In der sogenannten DIETFIT-Studie wurde untersucht, wie viel Probanden mit einer Low-Carb oder einer Low-Fat-Diät abnahmen. Es stellte sich heraus. Beide Gruppen schnitten fast gleich ab. Man hatte nämlich dafür gesorgt, dass beide Gruppen gesund aßen – ob nun viele oder wenige Kohlenhydrate. Das heißt man kann sich auch mit Kohlenhydraten gesund ernähren. Tatsächlich macht es keinen unterschied. Auf die Qualität des Essens kommt es an.
Unterstützt wird diese These durch verschiedenste Ernährungsweisen ursprünglich lebender Stämme. Es gibt Populationen, in Alaska oder auch die Massai, die bis zu 90% tierische Lebensmittel essen, also wenig bis keine Kohlenhydrate, und damit gesund leben. Gleichzeitig lebt der Stamm der Tarahumara von einer Diät, die zu 90% aus Bohnen und Mais besteht. Also aus sehr vielen Kohlenhydraten.
Was sind Kohlenhydrate und welche gibt es?
Kohlenhydrate kommen im Stoffwechsel aller Lebewesen vor und machen 2/3 der weltweiten Biomasse aus. Der menschliche Körper nutzt sie zur Energiegewinnung. Vereinfacht teile ich sie in drei Kategorien ein, wobei es tausende Kohlenhydrate gibt.
Zucker
Einfachzucker, z. B. Traubenzucker „Glukose“, Fruchtzucker „Fructose“ sind die Grundbausteine aus denen die anderen Kohlenhydrate aufgebaut sind. Glucose verwendet der Körper als Energieliefernat im Blut.
Zweifachzucker z. B. Kristallzucker „Saccharose“, Milchzucker „Laktose“,
bestehen aus ein bzw. zwei Zuckermolekülen.
Kommt vor in Obst aber auch in vielen Limonaden oder hochverarbeiteten Lebensmitteln.
Stärke
Stärke beseht aus langkettigen Molekülen. Also aus vielen Einfachzuckern.
Ballaststoffe
Sind auch eine Art von Kohlenhydrate. Diese kann der Körper nicht verdauen bzw. als Energie verwerten. Im Dickdarm dienen sie den Mikroben der Darmflora als Nahrung. Woraufhin diese den Körper mit unterschiedlichsten Stoffen versorgen, die sehr gesund sind.
Gleichzeitig binden sie Wasser, was den Darm bei einer guten Verdauung unterstützt, indem der Speisebrei besser flutscht.
Mehr dazu in diesem ausführlichen Artikel.
Was sind verarbeitete Kohlenhydrate?
Am Beispiel Getreide lässt sich das gut erklären. Das Getreidekron besteht aus einer Schale, dem Endosperm und dem Keim. Als erstes werden die Schale und der Keim entfernt. Diese enthalten ca 2/3 der VItamine und Nährstoffe. Zurück bleibt der Endosperm, der aus Stärke besteht. Wird dieser gemahlen, entsteht Mehl.
Das feine Pulver Mehl bietet unseren Verdauungsenzymen mehr Oberfläche, um die Stärke schneller in Glukose zu zerlegen. Nachdem die Glukose ins Blut gelangt ist, führt das zu einem rapiden Anstieg des Blutzuckerspiegels.
Diese verarbeiteten Kohlenhydrate kommen in vielen hochverarbeiteten Lebensmitteln vor: weißer Reis, Brot und Gebäck, Nudeln, Süßigkeiten, Chips und so weiter.
Was passiert wenn wir Kohlenhydrate essen?
Kohlenhydrate werden von Enzymen in einfache Zuckermoleküle aufgespalten meist. Das passiert bereits beim Kauen im Mund. Im Dünndarm geht die Glukose in das Blut über und erhöht damit den Blutzuckerspiegel. Was wir als Blutzucker messen, ist also der Gehalt an Glukose im Blut.
Wir merken uns: je länger ein Kohlenhydratmelkül ist und umso besser es im Lebensmittelverpackt ist, umso länger dauert die Verdauung und damit umso langsamer steigt der Blutzuckerspiegel und umgekehrt.
Für uns unverdauliche Ballaststoffe kommen weiter in den Dickdarm und dienen dort den Mikroben als Nahrung. Diese scheiden daraufhin verschiedenste Stoffe aus, die teilweise sehr positive Effekte auf die Gesundheit haben. Welche genau ist eine eigene Podcastfolge wert und ist gerade das heiße Thema in der Forschung.
Zum Vergleich: um Kohlenhydrate zu verdauen brauchen wir 20 Enzyme, das Mikrobiom stellt dagegen 10.000 Enzyme her.
Was hat es mit Blutzucker auf sich?
Der Blutzuckerspiegel zeigt an wie viel Glukose im Blut ist. Ein Anstieg des Blutzuckerspiegels nach dem Essen ist normal. Schließlich muss die Energie, die der Körper aufnimmt auch zu den Verbrauchern. Und das passiert über das Blut.
Nachdem der Blutzuckerspiegel steigt, erhöht der Körper die Ausschüttung des Hormons Insulin. Mit Insulin werden Zellen angeregt die Glukose entweder zu nutzen oder zu speichern.
Steigt der Blutzucker schnell an, steigt als Gegenmaßnahme auch der Insulinwert schnell an. Der Körper schießt dabei oft über das Ziel hinaus und der Überschuss an Insulin führt dazu, dass wir wieder Hunger bekommen. Das führt oft dazu, dass wir mehr Essen als wir eigentlich müssten.
Interessanter Weise reagiert nicht jeder gleich Stark auf Kohlenhydrate. Manche kommen damit besser zurecht als andere.
Es ist also gesund, wenn der Blutzuckerspiegel relativ niedrig ist und nur kleine Sprünge macht.
Auswirkungen auf die Gesundheit von verarbeiteten Kohlenhydraten und Zucker
Viele Studien zeigen, dass eine Diät reich an verarbeiteten Kohlenhydraten und Zucker, erhöhte Risiken bei verschiedenen Krankheiten bedeutet:
- Stoffwechselgesundheit
- Herzkrankheiten
- Hoher Blutdruck
- Demenz und Alzheimer
Wenn der Blutzucker häufig und lange sehr hoch ist, werden Körperzellen resistent gegen Insulin und der Zucker kann nicht mehr ausreichend verarbeitet werden. Das führt dann zu Krankheiten wie Typ-2-Diabetes.
Wer viele verarbeitete Lebensmittel ist, ist meist sehr wenige Ballaststoffe. Das führt dazu, dass das Mikrobiom verhungert und stattdessen beginnt die Darmwand zu verdauen. Dadurch wird sie porös und lässt viele Giftstoffe in den Körper. Das wird Leaky-Gut-Syndrom genannt. Nicht gut. Auch dazu sollte ich eine eigene Folge machen.
Wie also finden wir Lebensmittel, die den Blutzucker langsam ansteigen lassen?
Glykämischer Index
Glykämischer Index zeigt die Blutzuckersteigende Wirkung von Lebensmitteln an. Als Referenzwert dient Glukose mit einem Wert von 100. alles unter 50 ist niedrig, bis 70 mittel und ab 70 hoher Indexwert.
Lebensmittel mit einem hohen GI führen entweder zu einem hohen Anstieg oder einem langen Anstieg des Blutzuckerspiegels. Das heißt eine Lebensmittel, dass den Blutzuckerspiegel schnell ansteigen lässt und schnell sinken, hat einen geringeren Index als ein Lebensmittel, das den Spiegel wenig aber lange ansteigen lässt.
Also Vorsicht mit diesem Tool. Jeder Mensch reagiert, wie bei Fett, anders auf die gleichen Kohlenhydrate.
Jeder hat somit einen persönlichen glykämsichen Index. Also ist die Liste nur eine Annäherung. Sie kann auch nicht sagen, was passiert wenn man Nahrungsmittel kombiniert, was man ja meistens macht. Oder wenn man sie kocht oder anders verarbeitet.
Beim Glykämischen Index werden auch nicht der Einfluss von 50g eines Lebensmittels sondern von 50g Kohlenhydrate aus diesem Lebensmittel errechnet.
Karotten und Baguette haben den GI von 70. Um aber 50g Kohlenhydrate aufzunehmen muss man 700g Karotten essen aber nur 100g Baguette. Obwohl also beide den gleichen GI haben, hat Baguette einen deutlicheren Einfluss auf den Bluzucker.
Also nicht verrückt machen lassen durch den GI. Es gibt eine viel bessere und leichtere Regel, gesünderer Kohlenhydrate zu essen.
Zusammenfassung
Es ist also gar nicht entscheidend welche Kohlenhydrate wir essen, denn letztendlich werden alle zu Glukose zerlegt und ins Blut aufgenommen. Es kommt darauf an, dass die Glukose langsam und stetig in unser Blut gelangt. Außer man ist im Sport auf eine schnelle Aufnahme angewiesen. Aber das klammere ich hier aus.
Wenn es also darum geht wie gesund Kohlenhydrate sind, ist die entscheidende Frage: wie stark verarbeitet ist die Nahrung, die wir zu uns nehmen? Oder wie gut verpackt ist die Glukose und wie lange braucht der Körper um sie zu verdauen.
Eine einfache Faustformel ist: je weniger ein Nahrungsmittel verarbeitet ist, desto stärker verpackt ist die Glukose und desto gesünder ist es. Ein Beispiel: Weißmehl ist nicht so gesund wie Vollkornmehl aber Vollkornmehl ist weniger gesund als das intakte Korn.
Um die Frage vom Anfang zu beantworten: Ist Getreide A also besser als Getreide B? Nein, es kommt auf die Verarbeitung an und ob die Verpackung intakt ist.
Und außerdem bringen die gut eingepackten Carbs in ihrer Verpackung viele Vitamine und Mikronährstoffe mit. Und ja, viele kohlenhydrathaltigen Lebensmittel bringen Protein mit, auf das wir nicht verzichten wollen.
Praktische Tipps:
Versucht vielseitig zu essen. Jede Pflanze zählt: Ganze Früchte essen. Gemüse essen, Obst essen, Hülsenfrüchte essen.
hochverarbeitete Lebensmittel, wenn möglich, langsam durch unverarbeitetes Ersetzen.
Vermeidet Zucker. Ober ihr Low-Carb oder Low-Fat oder irgendeine andere Diät esst, vegan vielleicht, macht so, was die Gesundheit betrifft, kaum einen Unterschied. Findet die Ernährung, die zu euch passt. Tweak it, till it’s easy.
BeeWell.
Quellen
- Dietfit-Studie: kein Unterschied zwischen Low-Fat und Low-Carb Diet bei Gewichtsverlust
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5839290/ - JAMA-Studie 2019: 42% der Kalorien aus minderwertigen Kohlenhydraten
https://jamanetwork.com/journals/jama/article-abstract/2751719 - Gardner: Keto- vs. Mittelmeer-Diät: keine statistischen Unterschiede bei Diabetes
https://med.stanford.edu/news/all-news/2022/070/keto-mediterranean-diet-diabetes.html - The Effects of High Protein Diets on Thermogenesis, Satiety and Weight Loss: A Critical Review
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5532387/ - Low-Carbohydrate-Diäten und All-Cause and Cause-Specific Mortality: Two Cohort Studies
https://www.tandfonline.com/doi/epdf/10.1080/07315724.2002.10719227?needAccess=true&role=button - Der Einfluss von Ernährung auf die Darmmikrobiota und seine Folgen für die Gesundheit
https://ifst.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ijfs.12935 - Die Rolle von Ernährung und Lebensstil in der Prävention von Alzheimer-Krankheit
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0306987719306462 - Effekte von Diätetischen Muster auf Biomarker und Endpunkte für kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes: Eine systematische Übersicht
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2869506/ - Kardiovaskuläre Krankheit, Ernährung und der Rollenwechsel von Diäten mit hohem Kohlenhydratanteil
https://www.nature.com/articles/s41591-020-0934-0 - Vollkornprodukte: Gesundheitsvorteile und Empfehlungen
https://www.hsph.harvard.edu/nutritionsource/what-should-you-eat/whole-grains/ - Metabolisches Syndrom und verwandte Störungen: Übersicht und Update
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12833109/ - Der Zusammenhang zwischen Ernährung und koronarer Herzkrankheit in Frauen
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0735109707034444?via%3Dihub - Adipositas, metabolisches Syndrom und Krebs: Ein umfassender Überblick über die Epidemiologie, Mechanismen und Prävention
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18206731/